Warum kann ich mich nicht einfach trennen und gehen?
Es gibt viele Faktoren, warum die betroffene Frau in der Beziehung verbleibt. Sicherlich ist es der Missbrauch an sich, der den Selbstwert zerstört, und die Angst vor der Zukunft. Wer an Selbstbewusstsein verloren hat, der möchte sich den Herausforderungen des Lebens nicht stellen. Wer sich in dieser Situation befindet, der möchte kein Niemandsland erkunden und auf eine Reise ins Nirgendwo gehen. Der möchte bleiben, wo er ist, und am liebsten bei dem Narzissten, egal wie blöd der daherkommt.
Genau diese Unsicherheiten und Vorteile greift der Narzisst auf, weil er sein Opfer behalten will und macht dich damit klein, wenn du es nicht schon bist.
Wer in einer stressigen Beziehung mit einem Narzissten überleben kann, der sollte mit Veränderungen eigentlich gut zurechtkommen! Die eigene Stärke scheint jedoch vergangen und die Zukunft liegt rabenschwarz vor der Tür. Diese Tür sollte dementsprechend lieber zubleiben. Diese Tür ist aber der einzige Weg, der aus deinem Gefängnis führt, in das frau sich selbst eingeschlossen hast.
Auch ich war an diesem Punkt und viele Menschen haben mich zu dieser Zeit gar nicht verstanden. Ich konnte einfach nicht gehen. Eine Trennung war unmöglich.
Mag es meine Abhängigkeit gewesen sein oder andere düstere Gedanken. Eine Ausrede nach der anderen ist mir eingefallen, warum ich bleiben muss. Völlig absurd, wenn ich mir heute überlege, was ich mir damals alles eingeredet habe, um mich nicht vom Fleck zu bewegen. Zu dieser Zeit waren meine Bedenken jedoch sehr real.
Weit gefehlt, dass mich jemand aufgefangen oder gar meine Ängste ernst genommen hätte. Desinteresse und Ignoranz schlugen mir entgegen. Komm alleine klar!
Geh weg, bleib weg, selbst schuld!
Düstere Gedanken kreisten Tag und Nacht im Nebel umher und machten mir das Leben schwer. Irgendwann habe ich mir einen großen Zettel genommen und genau aufgeschrieben, was mich von einer Trennung abhält. Ganz oben stand bei mir: Küchenschrank.
Dieser unsägliche Schrank hatte mein narzisstischer Partner nicht aufgehängt beim Umzug in meine neue Wohnung. Monatelang stand er in der Küche und erinnerte mich daran, wie unfähig ich bin und wie krank unsere Beziehung. Zuerst musste der Küchenschrank aufgehängt sein, bevor ich mich trenne. Diesen Gedanken schien er auch erraten zu haben, da bin ich mir fast sicher.
Danach stand erst der Kummer um meine verpatzte, ehemals rosarot gefärbte Zukunft. Seltsam!
Bedenken Raum geben!
An dem Punkt war mir klar, dass ich jede Kleinigkeit ernst nehmen muss, bevor ich an eine Trennung denken kann. Diese Nebensächlichkeiten sind nicht lächerlich, sie stehen stellvertretend für ein Problem, welches einer Lösung bedarf. So winzig dieses Detail auch sein mag, dahinter verstecken sich fast ausnahmslos andere komplexe Befürchtungen. In meinem Fall war es die Angst, nun ohne diesen Partner auskommen zu müssen. Der Küchenschrank selbst war nur eine vorgeschobene Ausrede.
Dieses Beispiel soll zeigen, wie ernst unwichtige Bedenken zu nehmen sind, da sich dahinter oft eine Geschichte versteckt. Sind diese Verirrungen entlarvt, wird der Blick frei auf die wahren Stolpersteine. Jede betroffene Frau hat andere Probleme, die betrachtet werden müssen.
Was könnte auf deiner Liste stehen?
Ich kann ohne ihn nicht leben
Ich liebe ihn und werde ihn immer lieben
Ich habe meine Bezugspersonen verloren. Freunde, Familie und Bekannte sind weg
Ich habe kein Geld, um alleine klar zu kommen
Ich verschlechtere mich allgemein, wenn ich gehe
Ich nehme meinen Kindern den Vater
Ich nehme meinem Partner die Kinder
Ich müsste ohne die Kinder gehen
Ich muss eine andere Arbeit finden, da ich mit ihm zusammen arbeite
usw.
Die Lösung? Antworten finden!
Das Leben nach der Beziehung muss nicht nur geordnet werden, es sollte auch emotional weitgehend abgesichert sein. Die Antworten auf wichtige Fragen müssen erst gefunden werden, bevor die Trennung Gestalt annehmen kann. Mit dem Ergebnis muss später dementsprechend gelebt und umgegangen werden. Die Trennung auszusprechen ist ja nicht das Problem. Sie muss durchgehalten werden und das ist gelinde gesagt, ein Riesenproblem.
Du musst dich hier selbst an die Arbeit machen. Zweifel, Unsicherheit und Angst nehmen sonst überhand und bestimmen weiter dein Denken. Deine Abhängigkeit wird immer mehr zunehmen, weil du dir immer weniger zutraust.
Ich war nachher der Meinung, dass ich noch nicht einmal das Problem mit dem Schrank lösen kann, ohne meinen Partner. "Wenn du andere Leute in deiner Wohnung arbeiten lässt, dann mache ich hier überhaupt nichts mehr für dich!" Mich gegen meinen Partner zu stellen, kam also gar nicht infrage.
Natürlich hätte ich nach der Trennung genauso gut einen Studenten beauftragen können. Auf diesen einfachen Gedanken bin ich gar nicht erst gekommen. Mit meinem Kleister im Hirn und den täglichen Auseinandersetzungen, um diverse Nichtigkeiten, war ich viel zu beschäftigt dafür.
Bestimmte Gedanken geduldig zu hinterfragen, schiebt jedoch die Angst und die Unsicherheit zur Seite. Sich selbst Mut zu machen gehört auch dazu. Alternativen zu suchen und sie zu finden, sind Wege aus der Beziehung. Nach draußen zu gehen, raus der Isolation, kann ein erster Schritt in die emotionale Freiheit sein.
Neue Gedanken findet man allein in der Aussprache mit anderen, sonst kreist der Mensch immer nur um die gleichen Muster. Sich selbst zu erlauben, dass es alternative Gedankenwelten geben darf, sind treue Begleiter in ein freies und eigenständiges Leben.
Neue Gedanken, für ein neues Leben
Die vielen unheilvollen Worte des Aggressors, die sich tief eingegraben haben, müssen weggeschoben und umgeschrieben werden. "Wenn du so denkst, mach ich besser Schluss." Wer diese Sätze immer wieder hört, stellt für sich fest, dass es gewisse Gedanken in einer Beziehung gar nicht mehr geben darf. Ob diese Ausgrenzung wirklich sinnvoll ist, sollte gut überlegt werden. Irgendwann wird diese Überlegung ansonsten zur Akzeptanz. Die Realität und wird nicht mehr hinterfragt.
Das Ergebnis? "Ich kann mich nicht gehen, weil mein Partner keine Trennung will." Diesen Satz habe ich schon mehrfach von verschiedenen Frauen gehört!
Dieser Wortfolge ist natürlich vollkommen irrational, zeigt aber deutlich das Abgleiten in ein eingleisiges Denken, welches oft nur durch einen Satz oder durch eine Geste ausgelöst wird. Irgendwann sagte mein narzisstischer Partner dann tatsächlich wörtlich zu mir: "Ich sage dir, wann du Schluss machst. Du hast das nicht zu entscheiden." Genau an diesem Tag habe ich angefangen, an meiner Autonomie zu arbeiten. Die ewig unausgesprochenen Worte waren Realität geworden.
Was der betroffenen Frau immer wieder eingeredet wurde, wird sie natürlich nicht in ein, zwei Stunden vergessen haben. Es braucht Geduld. Ängste müssen abgebaut werden. Neue Leitsätze müssen her.
Wie kann ich mich selbst stärken?
Ich liebe ihn und werde ihn immer lieben
- aber mich liebe ich auch und mir geht es so schlecht, dass es mich bald nicht mehr gibt, wenn ich nicht gehe. Ich leide und es wird nicht besser. Lieben kann ich ihn ja weiter, aber aus sicherer Entfernung. Ich ...
Ich kann nicht ohne ihn leben
- dies hat er immer versucht mir zu sagen, mir zu unterstellen, aber ich werde lernen, dass ich auf mich vertrauen kann. Ich werde nach Personen Ausschau halten, die auch allein sind. Ich werde mich in einer Selbsthilfegruppe anmelden. Ich ...
Ich habe keine Freunde
- aber ich werde mich umsehen. Ich werde jetzt Kontakte knüpfen und versuchen, neue Freunde zu finden, auch wenn ihm dies nicht gefällt. Alte Freundschaften werde ich wieder aufbauen und Hilfe suchen. Ich werde meine Familie um Unterstützung bitten. Ich werde versuchen, Menschen zu finden, die mich auf dem Weg begleiten. Ich ...
Ich habe kein Geld, um alleine klar zu kommen
- aber ich rechne jetzt alles ganz genau nach. Wenn ich feststelle, dass ich Unterstützung brauche, werde ich nachfragen, wohin ich mich wenden muss, um diese zu erhalten. Mein Lebensstandard sinkt vielleicht, aber mein Leben macht wieder Sinn. Ich ...
Ich nehme meinen Kindern das Familiengefüge
- ja, dies ist wohl richtig. Aber wenn ich nur deshalb bleibe, führe ich meinen ihnen jeden Tag vor, wie schlecht ein Mann seine Frau behandeln darf. Das wird sich später ebenfalls auswirken und niemanden guttun. Den Kindern erweise ich damit keinen Gefallen. Sie werden mich nach einiger Zeit verachten und sich von mir abwenden. Ich ...
Ich nehme meinem Partner die Kinder
- ja, aber ich kann mich bemühen, den Einfluss auf die Kinder möglichst gering zu halten. Ich kann ihm die Chance geben, ein guter Vater zu sein. Wenn er dies nicht ist, werde ich geeignete Mittel ergreifen, die meine Kinder schützen. Ich ...
Ich muss eine andere Arbeit suchen, da ich mit ihm zusammenarbeite
- eine neue Tätigkeit zu finden geht nicht von heute auf morgen. Ich werde mich in aller Ruhe umschauen, welche Möglichkeiten es gibt. Diese Abhängigkeit zu lösen wird mir sicher möglich sein. Ich ...
Ich werde für immer traurig sein
- ja, natürlich werde ich traurig sein. Ich werde sogar schwach und einsam zurückbleiben. Ich werde trauern, wenn ich diese Beziehung verlasse und dazu habe ich alles Recht dieser Welt. Ich werde aber auch wieder Freude am Leben finden, weil ...
Der lange Weg zurück in die Selbstbestimmung!
In vielen Fällen, wo der Aggressor über einen längeren Zeitraum massiv mit psychischer und verbaler Gewalt vorgegangen ist, wird eine Trennung schwierig. Aufgrund der Vorgehensweise und den erlittenen Verletzungen wird die Heilung essenziell erschwert. Deshalb macht es auch wenig Sinn, weiterhin beim Aggressor zu bleiben, da die emotionale Gewalt ja nicht verschwindet, sondern eher zunehmen wird.
Nach der Trennung ist also echtes Durchhaltevermögen gefragt. Informiere dich gründlich über die Taktiken, die der Narzisst anwendet und die bei dir verfangen, damit du nachher nicht von Zweifel und Unsicherheiten geplagt wirst.
Die Sucht nach dem Partner zu bekämpfen ist schon Kampf genug. Bereite dich also vor.
Der Narzisst und die Frauenwelt
Machtspiele
E-Book by Evelina Blum
Das Buch stellt das Wesen der emotionalen Partnerschaftsgewalt klar und deutlich heraus. Die Folgen für das Opfer werden detailliert beschrieben.
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Wie werde ich mich nach der Trennung fühlen?
Viele Unbeteiligte und auch viele Opfer denken, sobald sie die Gewaltbeziehung verlassen, stellt sich Friede, Freude und Eierkuchen ein. Tatsache ist jedoch, dass nach einer Trennung noch lange kein Schlussstrich gezogen werden kann. Erst nach dem Beziehungsende kann die Aufarbeitung beginnen. Zu warten, bis du an Stärke gewinnst, kann also immer nur ein Trugschluss sein.
Um in der Beziehung mit einem Narzissten zu bleiben, musst du deine erlernten Beziehungsmuster nutzen. Sobald du dein Verhalten veränderst, wird die Gewalt zunehmen. Es kann also gar keine Veränderung neben dem Narzissten geben. Deine Verletzungen musst du weiterhin verdrängen, vergessen oder sie verschwinden ins Unterbewusstsein für die spätere Verarbeitung.
Je mehr du ansammelst, desto länger musst du dich irgendwann mit dem Missbrauch auseinandersetzen.
Versuche für Dich zu klären, wie dein Leben ohne ihn weitergeht.
Du musst in eine kleinere Wohnung umziehen? In Ordnung. Schau dich um und suche nach geeigneten Möglichkeiten. Du musst ja nicht unter der Brücke schlafen, sondern kannst dir Zeit lassen, um eine wirklich ansprechende Wohnung für dich zu finden.
Du machst dir Sorgen, ob deine Familie dich verstehen wird? Muss sie das denn? Ist es nicht genug, wenn du dich selbst verstehst? Niemand wandelt in deinen Schuhen und niemand kann nachempfinden, wie es dir geht und was dir wichtig ist. Nur du allein, kannst dafür die Verantwortung übernehmen.
Stütze dich auf andere Menschen, damit du alleine laufen lernst. Stütze dich nicht auf sie, um dann wieder von anderen Faktoren abhängig zu sein. Du hast dein Leben in der Hand. Du musst dich für deine Gefühle, Gedanken und Ängste nicht rechtfertigen.
Der Küchenschrank
Ja, dieser Schrank hat mich echt zur Verzweiflung gebracht. Also habe ich letztendlich meinen Narzissten dazu animiert, mir beizubringen, wie Löcher in die Wand gebohrt werden. Die Leute im Baumarkt waren sehr nett und haben mir alles mitgegeben, was ich brauchte. Da Narzissten ja immer alles besser wissen müssen, hat er mir tatsächlich gezeigt, wie ich vorgehen muss.
Das Ende vom Lied war, dass ich durch die Küchenwand ins Wohnzimmer gebohrt habe und den Schmutz im anderen Zimmer aufkehren musste. Ich denke, der Küchenschrank hängt da jetzt für die Ewigkeit.
Ich bin gegangen, auch für die Ewigkeit und ohne diesen blöden Küchenschrank.
2023@Evelina Blum